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Erfahrungsbericht

Dazwischen

Dazwischen

Die Adlerfeder, mit der mich der Visionssucheleiter von allem abschneidet, was mich davon abhält, die nächsten vier Tage allein, draußen und ohne Essen zu sein, kommt auf meiner Brust zu ruhen. Ein starkes Schwellenritual endet. Tränen treten in meine Augen und ich überschreite unsicheren Schrittes den Schwellenkreis ausgerüstet mit meinem persönlichen Kraftsatz, der im Laufe dieser Tage und Nächte seine heilsame Wirkung immer stärker entfalten wird: „Ich lasse mein Ungenügen hinter mir und ermutige mich, wahrhaftig zu leben und zu lieben.“

Wohin gehe ich? Zu dem Platz, den ich mir vor einem Tag gesucht habe. Meine Schlafstelle ist unter einer dreistämmigen Pinie, die ihre Wurzeln auf einem Lavafelsen mit einer kleinen, flachen und finsteren Höhle geschlagen hat. Kot kündet davon, dass hier bereits Ziegen vor mir Unterschlupf gefunden haben. Es gibt einen Sitz im Felsen, von dem ich den Sonnenaufgang und einen, von dem ich den Sonnenuntergang betrachten kann. Mein Blick reicht weit auf den Atlantik hinaus. Ich frage mich: Habe ich den Platz oder hat der Platz eher mich gefunden? In dem äußeren Ort erkenne ich meine inneren widersprüchlichen Räume: gleichzeitig einfach und komplex, hell und dunkel, sowohl festgelegt als auch voller Möglichkeiten. Die Kiefer mit der gemeinsamen Basis, aus der drei Stämme herauswachsen, erinnert mich an die Dreieinigkeiten meines Lebens: Meine beiden Kinder und mich. Meine beiden Eltern und mich. Oder meine Ex-Frau, meine neue Gefährtin und mich. Und sie tröstet und versöhnt mich mit der Tatsache, dass Liebe sowohl Einigkeit als auch Trennung bedeutet. Dies ist keine Einsicht meines Geistes, sondern erlebbar im Wechsel von starken Gefühlen der Verbundenheit mit den Wesen dieser Landschaft und Momenten tiefer Resignation, in denen ich wie ein Embryo gekrümmt auf meinem Schlafplatz kauere.

Ich empfinde mich in einem merkwürdigen Zwischenreich, in dem alles ist, wie es ist und gleichzeitig mehr, anderes und sehr Persönliches bedeutet. Uhr los verläuft die Zeit nicht mehr in Minuten und Stunden, sondern in einem ganz eigenen Maß. Ich schlafe viel tagsüber und in der Nacht bin ich mitunter hellwach. Manchmal fühlt es sich an, als würde ich mit offenen Augen träumen. Oder wie soll ich diesen mir neuen Bewusstseinszustand anders beschreiben. Ist die wunderschöne Raupe, die in Stunden tiefer Niedergeschlagenheit auf meinen Kopf zu krabbelt, nur eine Raupe, oder Botin von Hoffnung und Trost? In diesem Zustand des Dazwischen scheint es mir zu gelingen, mein altes Leben zu verabschieden und einen Schritt ins Neue, Offene, Ungefähre und Instabile zu machen.

Michael 50

Michael